„Billige Arbeitsknochen“
Eine kleine Gruppe Lehrlinge traf sich im Jahr 1893 regelmäßig. Die Jugendlichen nannten sich „Bücherskorpione“, da sie gemeinsam über Bücher diskutierten und Stenographie lernten. Ab Herbst 1893 vernetzten sie sich mit anderen Jugendgruppen und schließlich richtete die Gewerkschaftskommission im Juni 1894 ein Jugendkomitee ein, mit Jugendlichen aus 50 Berufen und allen Nationalitäten der Monarchie.
Die jungen ArbeiterInnen hörten in ihren Organisationen Vorträge über Sozialismus, Geschichte, Gesundheitslehre und die schöne Literatur. Man bildete aber auch Lehrlingsschutzkomitees, besuchte Betriebe der „Lehrlingszüchter“ und zeigte Missstände bei den Gewerbebehörden an, etwa, wenn Lehrlinge zu häuslichen Arbeiten herangezogen werden, schlechte Kost erhielten oder in verschmutzen Betten schlafen mussten. Lehrlinge waren damals allzu oft „billige Arbeitsknochen.“
Mitgliedskarte des Lehrlingsschutzkomitees 1921 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Erste Republik
Erst in der Ersten Republik wurde neben zahlreichen anderen Sozialgesetzen auch das Mindestlohngesetz für Lehrlinge verabschiedet, allerdings mit einigen Schönheitsfehlern. Lehrlingsentschädigung gab es erst nach dem ersten Drittel der Lehrzeit und der Betrag wurde „unter Bedachtnahme auf die Gewerbezweige und auf die örtlichen Verhältnisse“ festgesetzt. Aber es war nun möglich, in Kollektivverträgen die Höhe der Lehrlingsentschädigungen zu verankern. Die Jugendlichen hatten aber noch weitere Forderungen: Lehrherren sollten die Unkosten für die Fortbildungsschulen tragen, arbeitslose Lehrlinge sollten in die staatliche Fürsorge, und es sollte verboten werden, Lehrlinge nach Lehrabschluss sofort zu entlassen.
Lehrlingsklasse in Patergassen 1930-1932 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
„Liebe, Hingebung und Verständnis“
In Wien wuchs in den späten 1920er Jahren die Mitgliederzahl unter den Lehrlingen stärker als in den Bundesländern. Die Lehrlinge trafen sich bei Versammlungen oder gingen gemeinsam wandern. In Salzburg hingegen leisteten die UnternehmerInnen Widerstand gegen die gewerkschaftliche Organisierung der Lehrlinge, dafür wurden aber in Oberösterreich Jugendfunktionäre ausgebildet, und in der Steiermark und in Kärnten wurden Lehrlingssektionen gegründet.
Mit der zunehmenden Wirtschaftskrise schrumpfte nicht nur die Zahl der Lehrlinge, sondern machte auch alle bisherigen Erfolge zunichte. MeisterInnen hielten die Jugendschutzbestimmungen nicht mehr ein und zahlten kaum noch Lehrlingsvergütungen aus. Lehrlinge trauten sich nicht mehr, über die Zustände in den Betrieben zu sprechen, sie fürchteten Bestrafung durch die Lehrherren, und auch von den Eltern erhielten sie oft keine Unterstützung, weil diese keinen zusätzlichen EsserInnen zu Hause haben wollten.
Lehrlingsprüfung im Hotel Baumann Februar 1938 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Nationalsozialismus
Mit dem Verbot der freien Gewerkschaften und dem „Anschluss“ 1938 endete die sozialdemokratisch geprägte Jugendarbeit. Zehn- bis 18-Jährige mussten während des NS-Regimes Mitglied in der Hitlerjugend bzw. beim Bund Deutscher Mädchen sein. Die Organisationen waren nach dem „Führerprinzip“ geordnet. Im Mittelpunkt standen körperliche und ideologische Schulung über rassistische, faschistische und sozialdarwinistische Lehren. Ihnen wurde Gehorsam, Disziplin, Selbstaufopferung für die „Volksgemeinschaft“ eingebläut.
Erster Jugendkongress des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Mai 1948 (Quelle: ÖGB-Bildarchiv)
Zweite Republik
Nach der Gründung des ÖGB und der Gewerkschaft der Lebensmittelarbeiter im Frühjahr 1945 begann im Winter auch die Jugendarbeit wieder. Dies war eine schwierige Aufgabe: Die Jugendlichen waren während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus aufgewachsen und konnten mit demokratischen Strukturen nichts anfangen. Deshalb war es eines der Ziele der Jugendgruppe, „die faschistische Ideologie, die noch in der Jugend steckte, zu entfernen“, aber das erforderte viel Zeit und Geduld.
Seit 1945 hat der ÖGJ viel erreicht.
Dieser Text erscheint demnächst im Buch zur Geschichte der Lebens- und GenussmittelarbeiterInnen. Vielen Dank an die PRO-GE für die Erlaubnis, den Text vorab zu veröffentlichen.