Rosa Jochmann (1901-1994): Ihr Wissen wurde zur Waffe
Sie widersetzte sich den Austrofaschisten, demonstrierte gegen die Nazis, überlebte die Haft im KZ und wurde Nationalrätin
„Ich bin eine Arbeiterin, eine stolze Proletarierin,“ sagte Rosa Jochmann über sich selbst. Als Heldin bezeichnet sie ihre Biographin, die Historikerin Veronika Duma, als „extrem konsequente, sehr standhafte Frau, die selbst in den schwierigsten Zeiten nie umgefallen ist.“
Duma sagt, es sei erstaunlich, wie Jochmann in den wandelnden Systemen und Regimen immer wieder neue Rollen als zentrale Persönlichkeit, im Kampf gegen Ungerechtigkeiten eingenommen habe. Als Betriebsrätin, als Gewerkschaftssekretärin, als Frauenrechtskämpferin, als Widerstandskämpferin, als Blockälteste im Konzentrationslager Ravensbrück und als Nationalratsabgeordnete, als Zeitzeugin, als Symbolfigur des Antifaschismus, als stetige Mahnerin vor Antisemitismus und Rassismus, als Verfechterin von Frauengeschichtsschreibung nach 1945 und als Chronistin ihrer eigenen Vergangenheit.
Jochmann wuchs in einer Wiener ArbeiterInnenfamilie auf, ging mit 14 Jahre in die Fabrik arbeiten und erlebte die Errungenschaften der Ersten Republik (1918-1933/34): das Frauenwahlrecht, den Achtstundentag, die Einführung des bezahlten Urlaubs, der Arbeitslosenversicherung, die Verabschiedung des Kollektivvertrags- und des Betriebsrätegesetzes. Ihre Freundinnen waren alle im gleichen Alter und alle Sozialdemokratinnen. Sie debattierten Themen wie die Mehrfachbelastung der Frauen, die notwendigen Maßnahmen, um die rechtliche und soziale Position der arbeitenden Frauen zu verbessern und auch, dass Männer sich um ihre Kinder kümmern sollten.
Jochmann forderte die Streichung des Abtreibungsparagrafen, gleichen Lohn für gleichwertige Leistung und Arbeitnehmerinnenschutz.
Die Erste Republik war aber nicht nur von Sozialgesetzgebung geprägt, sondern auch vom Erstarken des Faschismus, der die modernen, selbstständigen Frauen als Bedrohung für ihr propagiertes Bild – Kinder, Kirche, Küche – sahen. Jochmann und ihre Freundinnen verteidigten ihre Lebensweise, sprachen auf Veranstaltungen, demonstrierten gegen die Aufmärsche der Nationalsozialisten und schrieben für Zeitschriften. Ein Artikel Jochmanns endete mit dem Satz, dass bald die gesamte Menschheit vor den Untaten der Nationalsozialisten erschaudern werden. Sie sollte recht behalten.
Ich war Sozialistin, ich bin Sozialistin
Nach den Februarkämpfen 1934 waren über 200 Schutzbündler tot, mehr als 300 verwundet und der Kampf um Demokratie und Freiheit verloren, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei und die freien Gewerkschaften wurden verboten und die „unliebsamen“ Frauenvereine aufgelöst. Jochmann organisierte den Widerstand gegen die Austrofaschisten mit und war Mitglied des Führungskommandos der illegal agierenden Revolutionären Sozialisten. Für diese Arbeit bewährte sich das Freundinnennetzwerk und ihr selbst erarbeitetes Bewusstsein über die Geschlechterrollen. Ihr Wissen wurde zur Waffe: Auf die Frage, was sie von den Februarkämpfen wüssten, antworteten sie, dass sie in der Partei nur für die Frauen zuständig gewesen wären und als Frauen kein Wissen über militärische und strategische Debatten hätten. Einkaufen oder Kochen eigneten sich als Alibis.
Im August 1934 wurde auch sie verhaftet, 1935 vor Gericht gestellt und auf die Frage, warum sie die illegale Arbeiter-Zeitung verteile, antwortete sie: „Ich war Sozialistin, ich bin Sozialistin und werde es immer bleiben.“ Sie wurde zu einem Jahr schweren Kerker verurteilt. Die Nationalsozialisten stellten im August 1939 einen Schutzhaftbefehl aus. Darin wurde sie dringend verdächtigt, sich im marxistischen Sinne zu betätigen. Nach ihrer Verhaftung vermerkte die Gestapo in ihren Akten, dass ihre Rückkehr aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück unerwünscht sei. Jochmann wurde Blockälteste der politischen Häftlinge, stand im Spannungsfeld zwischen Kollaboration und Widerstand, sabotierte aber die SS, wo es ging, wurde aber zweimal von Mithäftlingen verraten und mit Bunkerhaft in einer dunklen Zelle und mit Essensentzug bestraft.
Jochmann wurde Blockälteste der politischen Häftlinge, stand im Spannungsfeld zwischen Kollaboration und Widerstand, sabotierte aber die SS, wo es ging.
Nach 1945, nachdem sie den Rücktransport der Überlebenden aus Ravensbrück nach Österreich organisiert hatte, nahm sie ihre politische Arbeit wieder auf: als Mitglied des Parteivorstandes der SPÖ, als Frauensekretärin, als Nationalrätin. Sie setzte sich für die Verabschiedung des Heimarbeitsgesetzes, des Hausgehilfengesetzes und des Mutterschutzgesetzes ein, für die Opferfürsorge und für die Verbesserung der Ernährungslage. Jochmann dokumentierte die Geschichte des Lagers und dessen InsassInnen, der Verfolgten und Ermordeten im Dokumentationsarchiv des Widerstandes und bei den Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen.
Veronika Duma verfasste die Biografie von Rosa Jochmann (1901-1994)
Im Jahr 1967 legte sie alle ihre politischen Ämter nieder, wollte eigentlich viel lesen und auf Reisen gehen. Aber es begann ihre nächste Karriere. Nach der Ausstrahlung der US-Serie „Holocaust“ im Jahr 1979 wurde in Österreich und Deutschland die NS-Zeit verstärkt zum Thema. Nach Jochmanns Auftritt in der Fernsehsendung „Club 2“ erhielt sie mehrere hundert Anfragen, als Zeitzeugin über die Vergangenheit zu sprechen. Duma sagt: „Für Jochmann war die Vergangenheit keine abgeschlossene Geschichte, sondern auch Ausgangspunkt für aktuelle Politik.“ Wieder setzte sich Jochmann gegen das Erstarken der Neo-Nazis und rechter Kräfte ein, positionierte sich als kompromisslose Gegnerin der FPÖ, stand bei den Protesten gegen Kurt Waldheim an vorderster Front und hatte ihren letzten öffentlichen Auftritt beim von SOS Mitmensch organisierten Lichtermeer gegen das FPÖ-Volksbegehren „Österreich zuerst“ im Jahr 1993. Sie schloss ihn mit einem leidenschaftlichen Appell: „Nie wieder Faschismus“.
Info-Box
Veronika Duma
Rosa Jochmann – Politische Akteurin und Zeitzeugin
ÖGB-Verlag, 2019
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Weitere Infos auf: http://www.rosajochmann.at/